Hoch motiviert nach New York
02.02.2016Auch in diesem Jahr nehmen Studierende der Uni Würzburg an dem größten Planspiel der UNO teil. Sie vertreten dort ein Land, dessen Ruf seit ein paar Jahren ein wenig ramponiert ist. Für sie ist das eine spannende Herausforderung.
Was treibt Studierende dazu an, in ihrer Freizeit Referate über ein fremdes Land zu schreiben und zu halten – und das auch noch auf Englisch? Über mehr als ein halbes Jahr hinweg jede Woche sich mindestens vier bis fünf Stunden mit diesem Land zu beschäftigen? Gut 2.000 Euro dafür zu bezahlen, um an einem Planspiel teilzunehmen? Und das alles, ohne einen Schein oder ECTS-Punkte zu erhalten?
„Man lernt innerhalb sehr kurzer Zeit viele Leute kennen mit ähnlichen Interessen, aber aus anderen Studiengängen oder Fachsemestern, die man sonst nie kennen gelernt hätte“, sagt Marc Selariu. „Man lernt, unter Zeitdruck Texte zu produzieren und die eigenen Interessen auf Englisch zu vertreten“, findet Katharina Kuhn. „Man sammelt Erfahrungen und lernt, schnell auf neue Situationen zu reagieren, beispielsweise auf einen plötzlichen Themenwechsel in einer Diskussion“, ergänzt Christoph Blesken.
Das NMUN-Planspiel
Die drei sind Mitglieder der aktuellen NMUN-Delegation der Universität Würzburg. Mitte März werden sie zusammen mit zwölf Kommilitonen nach New York fliegen und dort am größten Planspiel der UNO, dem National Model United Nations, teilnehmen – als Teil einer Gruppe von mehr als 5.000 Studierenden aus der ganzen Welt. Jede Delegation repräsentiert dabei in den verschiedenen Komitees der UN einen der 193 UN-Mitgliedsstaaten oder eine Nichtregierungsorganisation und versucht, deren Interessen so authentisch wie möglich zu vertreten.
Für knapp eine Woche werden die Studierenden während des Planspiels in die Haut von Diplomaten schlüpfen und ganz wie ihre „echten“ Vorbilder in Versammlungen diskutieren, nach Bündnispartnern suchen, Resolutionen einbringen und am Ende abstimmen. Serbien ist das Land, das die Würzburger Gruppe in diesem Jahr vertreten wird.
Aus diplomatischer Sicht spannend
Serbien? Da fallen dem unbedarften Beobachter als erstes Schlagworte ein wie: Jugoslawienkrieg, ethnische Säuberungen, Vertreibung von Minderheiten. Und dieses Land wollen die Würzburger Studierenden tatsächlich vertreten? „Serbien ist aus diplomatischer Sicht ein äußerst spannendes Land“, sagt Marc Selariu, Student der Politikwissenschaften im dritten Semester. Es kämpfe noch immer mit den Folgen der Balkankriege, habe aber trotzdem aktuell die Flüchtlingsströme gut bewältigt.
„In dem Land bündeln sich viele Interessen“, ergänzt Christoph Bleken, der Wirtschaftswissenschaften studiert. Das Land strebe einerseits in die EU, andererseits pflege es enge Beziehungen zu Russland. Das wiederum sorgt für die Aufmerksamkeit der USA, die den russischen Einfluss zurückdrängen möchten. „Dementsprechend gibt es viele Spielfelder, auf denen Serbien vertreten ist. Dadurch lernt man sehr viel“, sagt Katharina Kuhn, die ebenfalls Politikwissenschaft studiert. Moralische Dilemmata bleiben ihrer Meinung nach allerdings nicht aus, wenn sie plötzlich serbische Positionen vertreten muss, die ihr persönlich gar nicht behagen. Aber: „Das ist eben Diplomatie!“
Anspruchsvolle Vorbereitung
Wer Mitglied der NMUN-Delegation der Universität Würzburg werden möchte, muss ein mehrstufiges Auswahlverfahren durchlaufen – angefangen bei einem mehrseitigen Aufsatz (natürlich in Englisch) bis zu mehreren Auswahlgesprächen mit einem Komitee der Vorjahres-Delegation. Das Land, das sie vertritt, bekommt die Gruppe zugelost. Anschließend müssen sich die Mitglieder mit ihm vertraut machen – seiner Geschichte, seiner Politik und natürlich seinen Interessen, die es auf dem Parkett der Weltpolitik verfolgt. Außerdem müssen sie sich die sogenannten „Rules of Procedure“ der Vereinten Nationen aneignen – denn auch wenn es sich um ein Plan-„Spiel“ handelt, soll das Szenario doch so realitätsnah wie möglich ablaufen.
Die wöchentlichen Treffen in Arbeitsgruppen sind nur ein Baustein dieser Vorbereitungen. Die Teilnahme an mindestens zwei Vorbereitungskonferenzen in Europa sind ebenfalls verpflichtender Bestandteil sowie der Besuch der Botschaft des Landes, von politischen Bildungseinrichtungen sowie von Vorträgen im Bereich Internationale Beziehungen. „Wir haben uns mit dem Botschafter Serbiens in Berlin getroffen und in einem gut zweistündigen Gespräch die Haltung Serbiens in diversen Punkten abgefragt“, erklärt Katharina Kuhn. Die Antworten seien für sie „Richtschnur“ im Planspiel.
Besuch in Botschaft und Bundestag
Auch im Verteidigungsministerium wurde die Gruppe vom Serbienexperten empfangen und mit Informationen versorgt – wie auch von der südosteuropäischen Parlamentariergruppe im Bundestag und von Journalisten der taz. Das alles zeige: „NMUN wird mittlerweile ernst genommen“, so Christoph Blesken.
„Internationale Politik aus erster Hand kennen lernen – Englischkenntnisse ausbauen – vom Betrachter zum Handelnden werden“: Diese Punkte führen die drei NMUN’ler an, wenn man sie fragt, was ihnen das Engagement bringt. Dass sie dafür keine ECTS-Punkte für ihr Studium erhalten, stört sie nicht – im Gegenteil. „Wenn es sich um ein Seminar der Uni handeln würde, wäre die Motivation der Teilnehmer wahrscheinlich eine ganz andere“, sagt Marc Selariu. Weil aber jeder freiwillig dabei sei, sei es eine ganz andere Art des Arbeitens.
Finanzielle Unterstützung erwünscht
Einen Wunsch haben die drei dennoch an die Uni: „Es wäre schön, wenn sie das Potenzial sehen und uns bei der Finanzierung helfen könnte“, so Katharina Kuhn. Denn auch, wenn viele Delegationsteilnehmer den Aufenthalt in New York in der Regel noch verlängern, um ein paar Tage an der Ostküste zu reisen: Eine Urlaubsreise ohne jeglichen Bezug zum Studium ist die Betätigung als Nachwuchsdiplomat nicht. Und ein wenig trägt das Engagement der Gruppe ja dazu bei, den Namen der Universität Würzburg in die Welt zu tragen.
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