Student*innen aller Fakultäten vereinigt euch! Geschichte, Ziele und Aktionsformen studentischer Proteste.
06.12.2017Der fzs-Sprecher Tobias Eisch gab am 30.11.2017 an der Universität einen Vortrag zur Thematik studentischer Protestformen.
Der freie zusammenschluss von studentInnenschaften (fzs) ist der Dachverband der Studierendenvertretungen in Deutschland und vertritt ca. 1 Million Studierende. Vor dem Abbruch der Jamaika-Verhandlungen gab es Sondierungsgespräche mit den Verantwortlichen aus den Wissenschaftsausschüssen der verschiedenen Parteien. Hinsichtlich „Wohnungsnot“ gibt es einen gemeinsamen Austausch mit dem Deutschen Studierendenwerk (DSW), ebenfalls kooperiert der fzs mit Gewerkschaften (z.B. GEW), um bessere Löhne für studentische Hilfskräfte zu erreichen. In Nordrhein-Westfalen organisiert man mit dem ABS und dem LAT NRW gemeinsam den Kampf gegen die Einführung von Studiengebühren für Nicht-EU-Studis.
In dem Vortrag wird ein kurzer Überblick über Studenten im Nationalsozialismus, die 68er-Bewegung, den Lucky-Streik von 1997 wie auch den Unibrennt-Bildungsstreik von 2009 gegeben. Abgeschlossen wird mit dem seit 2015 aktiven Bündnis „Lernfabriken … meutern!“. Aus Zeitgründen kann leider nicht auf die studentischen Streiks in den 70ern zum Berufsverbot, den Unimut-Streik oder den SPAR-WARS-Protest u.a. eingegangen werden.
- Studenten und der Nationalsozialismus
In der Weimarer Republik gab es zwei große studentische Organisationen. Zum einen die Deutsche Studentenschaft, die sich aus Allgemeinen Studierenden-Ausschüssen (AStA) zusammensetzte, die zum größten Teil von Burschenschaften dominiert waren. Zum anderen gab es den Nationalsozialistischen deutschen Studentenbund (NSdStB), der die Studentengruppe der NSDAP bildete. War die Deutsche Studentenschaft akademisch-elitär und mit ihrem Feindbild gegen den „Erbfeind“ Frankreich völkisch-national geprägt (ebenso wie mit ihren rassekundlichen Nachweisen) tendierte der NSdStB eher zu dem sozial-revolutionären „Strasser“-Flügel (nach Gregor und Otto Strasser) der NSDAP und hatte personelle Überschneidungen mit der Sturm-Abteilung (SA), die unter Ernst Röhm eine sozialistische Revolution unter nationalen Gesichtspunkten anstrebte. Das Ziel beider Studentenorganisationen war eine arische Wissenschaft, die von undeutschen Forschungsgedanken zu befreien sei. Nach der Niederlage im 1. Weltkrieg schlossen sich viele Studenten sog. „Freikorps“ an, um mit Waffengewalt gegen den neugeschaffenen Staat Polen vorgehen zu können, durch den sie das Deutsche Reich bzw. das Deutschtum in den jetzt polnischen Gebieten bedroht sahen. 1920 unterstützten auch viele Studenten den Kapp-Lüttwitz-Putsch, bei dem sie sich mit meuternden Freikorps-Verbänden gegen die demokratisch gewählte SPD-Regierung in Berlin stellten. 1933 organisierte die Deutsche Studentenschaft die Bücherverbrennung (die auf die Bücherverbrennung 1817 zurückgeht, auf welcher u.a. das Buch Germanomanie“ des jüdischen Schriftstellers Saul Ascher verbrannt wurde). Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten verbrannten die Studenten Werke jüdischer, kommunistischer oder pazifistischer Autoren. Kurze Zeit später ging die Deutsche Studentenschaft durch die Gleichschaltung im NSdStB auf.
Nach 1945 setzten die Alliierten an den Hochschulen Verfasste Studierendenschaften (VS) und Allgemeine Studierenden-Ausschüsse (AStA) ein, um so eine Kultur der Demokratie an den Universitäten zu lehren. Die Studierenden sollten selbst debattieren, abstimmen und so gesellschaftliche Verantwortung übernehmen. VS und AStA sind also als ein Mittel der Demokratiepädagogik als Reaktion auf die Verbrechen des Holocaust zu sehen.
(Weiterführende Literatur: StuRa Uni Jena: Elitär & Reaktionär seit 1815. 200 Jahre Urburschenschaft in Jena. Jena 2015)
- Die 68er-Bewegung
Die sog. 68er entstanden als Antwort auf die Große Koalition von 1966 (Kiesinger-Brandt), durch deren überwältigende Mehrheit im Bundestag es keine ernsthafte parlamentarische Opposition mehr gab. Dieses Aushebeln des demokratischen Grundgedankens wie auch die Einführung der Notstandsgesetze, die es der Regierung ermöglichten, zeitweise Grundrechte außer Kraft zu setzen, riefen Erinnerungen an die Einparteien-Regierung der NSDAP und der Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat („Reichstagsbrandverordnung“), welche ab 1933 die Bürgerrechte der Weimarer Republik außer Kraft setzte, wach. Um gegen die Gefahr einer neuen undemokratischen Regierung zu demonstrieren, bildete sich die Außerparlamentarische Opposition (APO), deren bekanntestes Gesicht der Soziologiestudent Rudi Dutschke wurde. 1967 kam es in Berlin anlässlich des Schahbesuchs (Mohammad Reza Pahlavi) zu einer Großdemonstration, bei der sich die Studierenden gegen die Hofierung des persischen Regierungschefs durch die Bundesregierung wandten, der politische Oppositionelle durch seinen Geheimdienst verfolgen und foltern ließ. Bei dieser Demonstration wurde der Student Benno Ohnesorg durch einen Polizisten erschossen. Zehn Monate später verübte ein nationalistisch eingestellter Arbeiter ein Attentat auf Dutschke, wobei er sich durch die hetzerische Berichterstattung der BILD-Zeitung gegen die Studierendenbewegung inspiriert und ermutigt fühlte. 1968/69 kam es weltweit zu studentischen Protestbewegungen, so etwa beim „Prager Frühling“ für einen „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ in der CSSR (Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik), in Südkorea für eine Demokratisierung der Gesellschaft und gegen die herrschende Militärdiktatur oder in der Volksrepublik China unter dem Begriff der Kulturrevolution.
Ziele der 68er-Bewegung in der Bundesrepublik waren die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit, da noch viele NSDAP-Mitglieder hohe Führungspositionen in Wirtschaft, Gesellschaft und Wissenschaft innehatten, ebenso wie eine Demokratisierung der Hochschule, in der die Studierenden, wissenschaftlichen Mitarbeitenden und Professor*innen in Gremien einen gleichen Stimmenanteil (sog. „Drittelparität) haben. Darüber hinaus wurde eine Verfasste Studierendenschaft mit einem politischen Mandat gefordert, da man die Universität als Ausgangspunkt zur Veränderung der Gesellschaft begriff. Doch auch die Frauenbewegung gewann an Auftrieb. So beschuldigte die Sprecherin des Aktionsrates zur Befreiung der Frau des SDS (Sozialistischer Deutscher Studentenbund), Helke Sander, in einer Rede ihren Vorstand, nicht auf die Rolle der Frau einzugehen – während linke Männer demonstrierten und Politik machten, waren Frauen für die Reproduktionsarbeit zuständig. Da die Genossen nicht bereit waren, diese Rede zu diskutieren, warf Sigrid Rüger Tomaten in Richtung Vorstandstisch. Die mediale Verbreitung dieser Aktion sorgte für eine Neuorientierung innerhalb der Studierendenbewegung und der Bildung vieler Frauengruppen an Universitäten. In den folgenden Jahren wurden die Verfassten Studierendenschaften in vielen Bundesländern verboten, da konservative Politiker in der Studierendenvertretung eine potentielle Brutstätte des gewalttätigen Linksterrorismus sahen. Innerhalb kurzer Zeit hob man das Verbot jedoch wieder auf, in Baden-Württemberg erst 2012 mit der grün-schwarzen Regierung. Lediglich Bayern ist nun das einzige Bundesland, in dem die Verfasste Studierendenschaft gesetzlich untersagt ist, da dort wohl immer noch das Credo gilt, dass “der linke Sumpf an den Hochschulen trocken gelegt werden [muss]”.
Aktionsformen der 68er-Bewegung waren Versammlungen und Diskussionen, Besetzung und Blockade von Hörsälen und Lehrveranstaltungen oder auch die medienwirksame Unterbrechung und Störung von akademischen Festakten der Hochschule. Darüber hinaus wurden viele theoretische Diskurse geführt und Gespräche u.a. mit Theodor W. Adorno oder Max Horkheimer gesucht. Es entstanden neue Wohnformen wie die Kommune oder die heutzutage übliche Wohngemeinschaft (WG) und eigene Projekte der studentischen Kinderbetreuung („Kinderläden“), um jungen Müttern das Studium zu ermöglichen. In den kommenden Hochschulreformen wurde die Demokratisierung der Hochschule in Teilen umgesetzt.
(Weiterführende Literatur: SDS Hochschuldenkschrift: Hochschule in der Demokratie. 1961; Aust, Stefan: Der Baader-Meinhof-Komplex. Hamburg 2005; Eichinger, Bernd: Der Baader-Meinhof-Komplex. Constantin Film. München 2008. 143 min. V.a. 5:25-23:00)
- Der Lucky-Streik 1997
Zwar hatten sich durch verschiedene Hochschulreformen demokratische Gremien an den Hochschulen etabliert, die die Teilhabe der Studierenden an Entscheidungsprozessen gewährleisteten, jedoch kam es durch hohe Studierendenzahlen bei gleichzeitig geringen Bildungsausgaben zu einer eklatanten Unterfinanzierung des Bildungsbereichs und somit sich rasant verschlechternde Studienbedingungen. Zu Beginn des WS 1997/98 verwies ein Professor der Uni Gießen die Hälfte der anwesenden Studierenden des Saales, da er sich außerstande sah, in dem vollkommen überfüllten Hörsaal eine vernünftige Lehrveranstaltung zu halten. Daraufhin riefen die Studierenden zu einem Streik auf, der sich in kürzester Zeit auf das gesamte Bundesgebiet ausweitete.
Ziele des unter dem Namen „Lucky-Streik“ bekannten Protestes waren die Ausfinanzierung der Hochschulen, also die Renovierung der alten Gebäude und der Neubau von dringend benötigten Hörsälen. Ebenso wurde die Einstellung von mehr Lehrpersonal gefordert, um die Überlastung der angestellten Uni-Mitarbeitenden zu reduzieren und eine gute Lehre zu gewährleisten. Darüber hinaus sollte die Hochschule wieder ein Ort der Bildung werden, die einen mündigen Menschen zum Ziel hat, und nicht der Ort der bloßen Ausbildung, die einen wirtschaftskonformen Arbeitnehmer kreiert.
Aktionsformen waren die Besetzung von Hörsälen, um den Lehrbetrieb zu unterbrechen und das Abhalten von Vollversammlungen mit Streik- und Protestplena, um über das weitere Vorgehen zu diskutieren. Man aß, schlief und debattierte im Hörsaal, veranstaltete Theateraufführungen auf dem Uni-Gelände oder organisierte eine Demonstration in der Innenstadt.
4. „#Uni brennt. Bildungsprotest 2.0“ – Bildungsstreik 2009
Im Zuge der Bologna-Reform (1999-2010) kam es zur flächendeckenden Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen wie auch dem Leistungspunktesystem „European Credit Transfer System“ (ECTS), die eine europaweite Vergleichbarkeit von Studiengängen und -leistungen ermöglichen sollten. Jedoch führte dies zu einem enormen Ansteigen des Leistungsdrucks durch nun überall zwingend vorgeschriebenen Prüfungen und die Vergleichbarkeit hatte aufgrund der nun postulierten Messbarkeit von „Lernen“ eine rationale Ökonomisierung des Bildungswesens zur Folge. Darüber hinaus kam es in vielen Bundesländern zur Einführung von Studienbeiträgen, die eine soziale Selektion und somit eine Ungleichheit von Bildungschancen zur Folge hatten. Mussten 2007 in fast allen Bundesländern junge Menschen 500€ pro Semester zahlen, um weiterhin studieren zu dürfen, wurden im Zuge der Bankenkrise von 2008 als „systemrelevant“ bezeichnete Finanzunternehmen mit Milliardenbeiträgen subventioniert. Die Ökonomisierung der Hochschule zeigte sich auch in der Arbeitsweise der Selbstverwaltung, in der Entscheidungsbefugnisse schrittweise von gewählten Gremien auf das Hochschulpräsidium übertragen wurden, so dass dieses immer mehr einer Management-Verwaltung glich. Beispielhaft dafür ist die Lehrbefreiung der Universitätspräsident*innen und deren engen Mitarbeitenden, die kaum mehr Seminare oder Übungen hielten, sondern sich der Führung des Unternehmens „Hochschule“ und dem Einwerben von Drittmitteln zu widmen hatten. Aus Sicht der Studierenden gab es keinen Platz mehr für kritische Persönlichkeitsbildung, sondern das Ziel der Hochschule war vielmehr eine verwertbare Ausbildung und Optimierung der Studierenden hin zu markteffizientem Humankapital.
Ziel des Bildungsprotestes 2009 war, sich gegen die soziale Selektion durch Studienbeiträgen und Numerus Clausus zur Wehr zu setzen und sich gegen die Ökonomisierung der Hochschule (Drittmittel von privaten Unternehmen, Rüstungsfirmen), die Verschulung, den hohen Leistungsdruck und die elitäre Exzellenzinitiative zu wenden. Wie im Lucky-Streik von 1997 forderte man erneut eine Ausfinanzierung der Hochschulen und Beendigung von prekären Beschäftigungsverhältnisse in Lehre und Forschung. An vielen Orten arbeiten die Studierenden mit Schüler*innen zusammen, die gegen die Einführung des achtjährigen Gymnasiums, einen überfüllten Lehrplan und für eine Demokratisierung der Schule einsetzten.
Aktionsformen waren neben der Besetzung von Hörsälen und dem Bestreiken des Lehrbetriebs Diskussionen mit Politiker*innen zu den angesprochenen Bildungsthemen. Nach dem erfolgreichen Volksbegehren gegen Studiengebühren (17.-30.1.2013) schaffte die CSU-FDP-Koalition in Bayern die Studienbeiträge ab, Niedersachsen verzichtete zum WS 2014/15 als letztes Bundesland auf die sozial ausgrenzende „Campus-Maut“.
(Weiterführende Literatur: Hensel, Jana: Proben für den großen Krach. In: Der Spiegel 51/2003. Online abrufbar unter: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-29475159.html
AG Doku, coop99 Filmproduktion: Uni brennt. Bildungsprotest 2.0. Österreich 2010. 86 min.)
- „Lernfabriken … meutern!“
2015 kam es in Folge der Novellierung des niedersächsischen Hochschulgesetzes zur Bildung lokaler Basisgruppen, deren Ziel es war, sich gegen die soziale Ausgrenzung von Studierenden einzusetzen. Ebenso protestierte diese neue Bewegung auch weiterhin gegen die Ökonomisierung der Bildung. Im November 2015 wurde zum ersten Mal in der Geschichte der Studierendenproteste mit der Universität Landau eine gesamte Hochschule bestreikt, sodass der Lehrbetrieb an allen Fakultäten zum Erliegen kam. Erfolgreich war diese Aktion durch das persönliche Werben in einzelnen Seminaren und Vorlesungen für die studentische Vollversammlung und die direkte Ansprache in den Mensen per Megafon.
Das Bündnis „Lernfabriken … meutern!“ veranstaltet jedes Semester ein Koordinierungstreffen. Nächster Termin: 26.-28. Januar in Halle (Saale).
(Weiterführende Literatur: Landsberger, Antonio: Proben für den großen Krach. Handbuch zur studentischen Protestorganisation. Münster 2005. Online abrufbar unter: https://de.scribd.com/document/140435024/protesthandbuch-pdf; https://lernfabriken-meutern.de/