Verfasste Studierendenschaft
Verfasste Studierendenschaft für Bayern?!
Warum Studierendenvertretungen mehr Kompetenzen benötigen
Da war es nur noch Bayern. Mit der Einführung der so genannten Verfassten Studierendenschaft (VS) in Baden-Württemberg im Jahr 2012 ist der Freistaat inzwischen das einzige Bundesland, das die Vertretungskompetenzen seiner Studierenden auf ein absolutes Minimum reduziert. Das war nicht immer so. Vor 1973 gab es auch an den bayerischen Hochschulen eine VS und die Erfolge waren beachtlich. Gemeinsam mit Studierendenvertretungen aus anderen Bundesländern konnte die Einführung des BAföG und die Öffnung der Hochschulen für mehr kritische Wissenschaften bewirkt werden. Doch diese Erfolge haben auch die Gegner*innen derartiger progressiver Reformen auf den Plan gerufen. So schafften die Landesparlamente von Baden-Württemberg und Bayern die VS ab, um einen vermeintlichen „roten Sumpf an den Universitäten auszutrocknen“ (Zitat des damaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Hans Filbinger, CDU). Seither setzen sich bayerische Studierende für deren Wiedereinführung ein. Auch der Sprecher- und Sprecherinnenrat (SSR) der Universität Würzburg macht sich für die VS stark. In diesem Artikel soll begründet werden, wieso es sinnvoll ist, sich dieser Forderung anzuschließen.
Verfasste Studierendenschaft – was ist das?
Einige von euch werden den zugegebenermaßen nicht ganz selbsterklären den Ausdruck „Verfasste Studierendenschaft“ sicher zum ersten Mal hören. Es empfiehlt sich daher kurz die Grundzüge der VS zu erläutern. Das Wesensmerkmal einer VS ist die studentische Selbstverwaltung. Ihr wird vom Landes-Hochschulgesetz eine Satzungs- und Beitragskompetenz zugesprochen. Das heißt sie kann – innerhalb des gesetzlichen Rahmens – eigene Richtlinien erlassen und zur Finanzierung ihrer Arbeit Beiträge von ihren Mitgliedern, also allen Studierenden einer Hochschule, erheben. Letztere liegen im deutschlandweiten Durchschnitt bei etwa 6 bis 9 Euro pro Semester. Studierende, die diesen Beitrag aus finanziellen Gründen nicht leisten können, können von dieser Pflicht befreit werden und in besonderen Fällen sogar darüber hinaus finanzielle Unterstützung in Anspruch nehmen. Die VS, die natürlich je nach Gesetz und Satzung unterschiedlich ausgeprägt sein kann, besteht in der Regel aus einem Studierendenparlament als oberstes beschlussfassendes Organ und dem so genannten Allgemeinen Studierendenausschuss (AStA), der die Beschlüsse ausführt und die Studierendenschaft gegenüber der Hochschulleitung und der Öffentlichkeit vertritt. Das Studierendenparlament wird einmal pro Jahr von den Studierenden im Rahmen der Hochschulwahlen gewählt. Das Studierendenparlament wählt wiederrum auf die Dauer von einem Jahr den AStA. Der AStA setzt sich aus verschiedenen Referaten zusammen, die jeweils ein bestimmtes Themengebiet repräsentieren (z. B. Soziales, Mobilität, Finanzen).
Was eine VS für die Studierenden leisten kann
Doch viel wichtiger als die Struktur, die sich durch die Satzungshoheit im Bedarfsfall auch anpassen lässt, ist, was die VS für die Studierenden leisten kann. An dieser Stelle lassen sich zahlreiche Unterschiede im Vergleich zu den Möglichkeiten der aktuellen Studierendenvertretung feststellen.
Eine wesentliche Verbesserung wäre die unabhängigere Vertretung studentischer Interessen. Derzeit muss jede noch so kleine Ausgabe von der Verwaltung der Universität genehmigt werden. Es versteht sich von selbst, dass die Universitätsleistung kein Interesse daran hat, Aktionen zu finanzieren, die sich gegen ihre eigene Entscheidungen richten. Doch um die studentischen Interessen effektiv zu vertreten, um beispielweise gegen zu großen Prüfungsdruck oder die mangelhafte Lerninfrastruktur vorzugehen, bedarf es genau solcher Aktionen der Studierendenvertretung. Innerhalb einer VS können die gewählten studentischer Vertreter*innen selbst über ihre Ausgaben entscheiden und wenn nötig umfangreichere Kampagnen starten. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass die VS eigene Verträge mit (z. B.) den Verkehrsbetrieben abschließen kann, welcher die Konditionen und die Reichweite des Semestertickets regelt. Bisher übernimmt diese Aufgabe das Studierendenwerk. Das hat jedoch zur Folge, dass die Studierenden nicht selbst über das Semesterticket entscheiden können und auch nur mittelbar an den Verhandlungen darüber beteiligt sind. Nicht ohne Grund haben die bayerischen Hochschulen im deutschlandweiten Vergleich die Semestertickets mit der geringsten Reichweite und den meisten Einschränkungen (z. B. keine Fahrradmitnahme). Würde die VS die Verhandlungen übernehmen, könnte man mehr Druck aufbauen, um z. B. für mehr Busse in den Verkehrsstoßzeiten oder in der Nacht zu sorgen. Die Studierendenwerke hingegen sind zumeist an einem schnellen Vertragsabschluss interessiert, um die Belastung der eigenen Verwaltung gering zu halten. Weitere klassische Leistungen einer VS sind (mehr) Veranstaltungen zur politischen Bildung, kostengünstige Kulturveranstaltungen und eigene Kultureinrichtungen sowie kostenlose Beratungsangebote (z. B. anwaltliche Rechtsberatung, BAföG- und Sozialberatung). Diese Aufzählung ließe sich wohl noch beliebig fortsetzen. Es wird also deutlich, dass eine VS für die bayerischen Studierendenschaften mit wesentlichen Vorteilen verbunden wäre. Dennoch gibt es insbesondere im „konservativen Lager“ einige Kritiker*innen. Doch was ist von diesen Einwänden zu halten?
VS als Selbstbedienungsladen „linker Revolutionäre“?
Sicher das populärste Argument unter den Gegner*innen einer VS ist, dass die finanziellen Mittel der VS verantwortungslos ausgegeben oder gar veruntreut werden könnten. Oftmals werden für diese Befürchtung „linke Gruppierungen“ verantwortlich gemacht. Doch diese Behauptung ist gleich in zweifacher Hinsicht falsch. Weder gibt es eine Häufung von Skandalen in Studierendenschaften mit Finanzhoheit noch sind es überwiegend linke Gruppen, die derartige Unregelmäßigkeiten zu verantworten haben. Der letzte größere Finanzskandal ereignet sich vor inzwischen vier Jahren als der AStA der Universität Göttingen zugeben musste, dass rund 20.000 Euro aus den Einnahmen der Übertragung der Fußball-WM nicht mehr aufzufinden seien. Verantwortlich für den AStA waren in dieser Zeit der CDU/CSU-nahe Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS) und eine sich selbst als pragmatisch bezeichnende Fachschaftenliste. Festzuhalten bleibt allerdings, dass derartige Fälle die absolute Ausnahme sind. Dies ist nicht zuletzt auf die zahlreichen Vorkehrungen zurückzuführen, die innerhalb einer VS getroffen werden. So werden die Finanzgeschäfte in den meisten Studierendenschaften von ausgebildeten Finanzbuchhalter*innen abgewickelt, die Hochschulleitung hat weiterhin die Rechtsaufsicht inne und die Haushaltsbewirtschaftung unterliegt der Prüfung durch den jeweiligen Landesrechnungshof. Stellt sich also die Frage, wieso sich der Widerstand gegen eine VS in Bayern weiterhin als so robust erweist. Auch wenn das von den Verantwortlichen in der Regel abgestritten wird, sind dafür vor allem machtstrategische Überlegungen maßgeblich. Aufgrund der politischen Orientierung der Studierenden existieren in den Gremien der VS oftmals progressive Mehrheiten. Um Proteste gegen die eigene, von vielen Studierenden als mangelhaft empfundene, Hochschulpolitik möglichst im Keim zu ersticken, erscheint es für die Verantwortlichen opportun die bayerischen Studierendenvertretungen möglichst schwach zuhalten. Neben der Demokratie an den Hochschulen sind die Studierenden die Leittragenden dieser Haltung. Schließlich wird ihnen – unabhängig von der eigenen politischen Einstellung– eine ganze Reihe von Vorteilen (siehe oben) vorenthalten. Doch dies ist kein Grund den Kopf in den Sand zu stecken! Wie zum Beispiel die Abschaffung der Studierendengebühren gezeigt hat, ist es mit dem notwendigen Einsatz möglich, Veränderungen zu erreichen. Wenn auch ihr euch für eine VS und die damit verbundenen Verbesserungen engagieren wollt, wendet euch am besten an das „Referat für Demokratie und Zivilcourage“ (referat-demokratie@uni-wuerzburg.de) der Studierendenvertretung.
Sebastian Geiger