Covid-19 – Nicht die erste Pandemie
03.08.2021Nicht immer waren Impfstoffe in so kurzer Zeit und so komfortabel verfügbar wie bei der Corona-Pandemie. Lesen Sie hier, wie das Krisenmanagement der Universität Würzburg zu Zeiten von Pest und Cholera aussah.
Vor über 100 Jahren kämpfte die Bevölkerung – und das ohne einen passenden Impfstoff – gegen Krankheiten wie Pest, Cholera und Diphterie. Diese waren zwar, anders als Corona, keine viralen, sondern bakterielle Infektionen. Sie verbreiteten sich aber ebenfalls in einem rasanten Tempo und nahmen schlussendlich pandemische Ausmaße an.
Die Auswirkungen waren auch in Unterfranken und in Würzburg zu spüren. Hier musste die Julius-Maximilians-Universität (JMU) neue Wege finden, um den Lehr- und Forschungsbetrieb fortzuführen. Wie sich die Universität dieser Herausforderung stellte, lässt sich im Universitätsarchiv in einer Akte zum Umgang mit hochansteckenden Krankheiten nachlesen.
Das Team des Universitätsarchivs hat die darin enthaltenen Reichsgesetzblätter, Kursorganisationen und Verfügungen genauer unter die Lupe genommen, um ein Bild vom Krisenmanagement der damaligen Zeit zu gewinnen.
Regierungsverordnungen zur Bekämpfung der Pest
Vom späten 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhundert wütete die letzte große Pest-Pandemie. Sie sollte Millionen Opfer fordern, doch die Bevölkerung in Europa kam vergleichsweise glimpflich davon. Das lag vor allem an neuen medizinischen Erkenntnissen zur Verbreitung von Erregern.
Aus diesem Wissen resultierte eine Reihe von Maßnahmen, die die Verbreitung der Pest oder anderer bakterieller Krankheiten eindämmen sollten. Sie sind zum Teil auch heute noch bewährt und auch gegen Virus-Erkrankungen wie Covid-19 effektiv. Insbesondere die Isolation von Patientinnen und Patienten und ihren Kontaktpersonen, die Vermeidung größerer Menschenansammlungen und verbesserte Hygienemaßnahmen setzte man schon um die Jahrhundertwende ein.
Aus einer Regierungsverordnung des Jahres 1900 geht beispielsweise hervor, dass sich damals schon Kranke oder ansteckungsverdächtige Personen in Quarantäne begeben mussten. Die Absonderung erfolgte für gewöhnlich in einem Krankenhaus oder anderen Unterkünften. Teilweise durften die Kranken aber auch in ihrer Wohnung bleiben, und die gesunden Bewohner mussten das Gebäude verlassen. Es konnte sogar zur Räumung des ganzen Hauses kommen, insbesondere, wenn die sanitären Anlagen geteilt wurden.
Häuser, in denen sich Pestkranke aufhielten, wurden sichtbar markiert. Schülerinnen und Schüler, die durch ihre Wohnsituation zu den Erkrankten Kontakt gehabt haben könnten, wurden dazu angehalten, vom Unterricht fernzubleiben. In einer Regierungsverordnung von 1911 ist sogar von Schulschließungen in Gebieten mit vielen Infektionsfällen die Rede.
Bei Fällen von Pest wurde ebenfalls auf kontinuierliche Desinfektion geachtet. Denn auch über Gegenstände konnte sich die Krankheit übertragen. Behandelt wurden Möbel, Kleider, Bettlaken und andere Dinge mit Kresol, Chlorkalk, Kaliseife, Formaldehyd, Dampfapparaten oder Siedehitze. Wurden die Objekte durch zu aggressive Desinfektion beschädigt, konnte eine Entschädigung geltend gemacht werden.
Auch Ratten, Mäusen und Ungeziefer machte man den Garaus, denn die Flöhe in deren Fell waren als Überträger bekannt. Zudem war es verpflichtend, Pestausbrüche an das kaiserliche Gesundheitsamt zu melden und regelmäßig Übersichten über die weiteren Erkrankungs- und Todesfälle unter Benennung der Ortschaften und Bezirke zu erstellen.
Das Hygienische Institut und die Pestbekämpfung
Der Umgang mit Gesundheitsrisiken wurde auch vor über hundert Jahren nicht auf die leichte Schulter genommen und Maßnahmen von der Regierung an die Bevölkerung herangetragen. Viele dieser Strategien sind denen von heute sehr ähnlich.
Die Regierungsverordnungen galten nicht nur für Privatpersonen. Einige Berufsgruppen konnten den Kontakt mit Erregern schwerer eindämmen als andere. Dies betraf auch die Forschenden der Universität, die mit Pesterregern arbeiteten. Für sie galten spezifische Regeln.
Zunächst durfte die Aufbewahrung von lebenden Erregern der Pest sowie die Vornahme wissenschaftlicher Versuche nur mit Erlaubnis der Landeszentralbehörde erfolgen. Um diese Erlaubnis zu erhalten, mussten bestimmte räumliche Voraussetzungen erfüllt sein. Die Zimmer sollten beispielsweise gut lüftbar und hell sein und glatte, leicht zu reinigende und zu desinfizierende Fußböden und Wände haben. Auch sollten die Räume sicher vor Ratten und Mäusen sein. Dafür wurden die Lüftungsöffnungen und Fenster mit Draht überzogen.
Für die Beschäftigten galt: Personen, die nicht gründlich bakteriologisch vorgebildet waren, hatten sich von der Arbeit mit Pesterregern fernzuhalten. Dem Leiter des Labors war eine mehrwöchige Arbeit mit anderen Bakterien vorzuweisen.
Sollte es zu einer Erkrankung kommen, musste dies dem Leiter des Labors sofort zur Meldung gebracht und die betroffene Person isoliert werden. Hierfür sollten Extraräume in den Instituten bereitgestellt werden, wo die Erkrankten abgesondert werden konnten.
Doch schien insbesondere diese Verordnung nicht immer leicht umsetzbar gewesen zu sein. 1903 hatte man im Hygienischen Institut Probleme mit der Bereitstellung eigener Wohnräume für die im Pestlaboratorium arbeitenden Personen. Das Labor befand sich zum damaligen Zeitpunkt noch im Chemischen Institut in der Maxstraße. Das Hygienische Institut hatte schlicht zu wenig Räume, um Leute zu isolieren.
Um das Problem zu lösen überlegte man, die Infizierten in das Botanische Institut auszulagern. Die Idee wurde aber als wenig zweckmäßig befunden und verworfen. Als weitere Möglichkeit galt, dass im Falle einer Pestinfektion dann wohl die Arbeitsstätten des gesamten Hygienischen Instituts geschlossen werden müssten. Man erwog auch, ein oder zwei Räume, die als Labore genutzt wurden, umzuräumen und als Wohnräume zu verwenden. Der Hörsaal und die Laboratorien hatten unterschiedliche Eingänge, so dass eine Gefahr für Andere gering war.
Für welche Lösung sich schlussendlich entschieden wurde, geht aus der Akte leider nicht mehr hervor. Deutlich wird jedoch, dass auch die damaligen Schutzmaßnahmen eine Herausforderung für die Universität darstellten und Improvisationstalent erforderten.
Trotz der Herausforderungen arbeitete man in Zeiten der Pest intensiv an einem Ausbau des Hygienischen Instituts. Im November 1901 wurde Würzburg sogar zur Peststation für die Kreise Unter- und Oberfranken und die Pfalz erklärt. Die Peststationen dienten der einheitlichen Organisation hinsichtlich der bakteriologischen Infektionen. Das am jeweiligen Standort tätige Hygienische Institut war mit der Diagnose und Behandlung betraut, die sich nicht nur auf die allgemeine Bevölkerung bezogen. Als Peststationen für die Garnisonen der jeweiligen Gebiete waren sie außerdem für den Umgang mit Pestfällen oder pestverdächtigen Krankheiten in der Armee zuständig.
Bakteriologische Kurse an der Uni Würzburg
Aber nicht nur die Pest spielte eine Rolle in der Geschichte der JMU. Auch der Cholera versuchte man Einhalt zu gebieten. Um deren Verbreitung einzudämmen, bot die Universität Ärzten aus der Praxis die Möglichkeit, sich in der Erkennung und Behandlung der Krankheit fortzubilden. Die ersten dieser bakteriologischen Kurse fanden 1884 statt. Im Hinblick auf die Möglichkeit eines neuen Ausbruchs der Cholera wurden aber auch in den folgenden Jahren immer wieder Kurse angeboten.
Wie liefen diese Kurse ab? Hier ein Beispiel aus dem Jahr 1893:
Dr. Karl Bernhard Lehmann hielt damals vom 6. bis 20. März einen Cholerakurs für praktische Ärzte ab. Für diesen mussten die Teilnehmer täglich vier bis fünf Stunden einplanen, 36 Mark Honorar bezahlen und „wenn irgend möglich“ ein eigenes Mikroskop mitbringen.
In einem bakteriologischen Praktikum lernten die Ärzte alles, was zum Nachweis und der Kultur des Choleraerregers von Bedeutung war. Etwa drei Stunden nahm diese Tätigkeit pro Tag in Anspruch. Weiterhin fanden Vorträge und Kolloquien über die Epidemiologie und Bekämpfung der Cholera statt. Auch ein theoretischer und praktischer Kursus der Desinfektionslehre waren zu absolvieren. Wenn es die Zeit gestattete, wurden zudem hygienische Exkursionen unternommen, wie beispielsweise zur Desinfektionsanstalt oder Wasserversorgung. Die Exkursionen schienen ein interessantes Lockmittel zu sein; waren die Kurse einmal nicht voll belegt, pries man die lehrreichen Ausflüge besonders an.
Schlussendlich kehrte nach dem Abklingen von Pest und Cholera wieder Normalität in die Universität Würzburg zurück. Und auch die Covid-19-Pandemie wird hoffentlich eines Tages überstanden sein. Und vielleicht entsteht auch zur aktuellen Pandemie eine dicke Akte, die in einigen Jahrhunderten als spannende Quelle dient.