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Prekärer Konsum

Datum: 11.04.2024, 13:30 - 13.04.2024, 13:00 Uhr
Kategorie: Tagung
Ort: Klinikstraße 3, Schelling-Forum der Bayrischen Akademie der Wissenschaften an der Universität Würzburg
Veranstalter: Lehrstuhl für neuere deutsche Literaturgeschichte II

Vom 11. April 2024 bis zum 13. April 2024, findet eine Tagung des Lehrstuhls für neuere deutsche Literaturgeschichte statt. Bei der Tagung werden die Überthemen "Historische Ökonomie", "Gender und Prekärer Konsum" und "Luxus und Prekariat" behandelt.

Tagung „Prekärer Konsum“ 11.–13.04.2024 an der JMU Würzburg

Seit der Konsum neben der Arbeit zur sinnstiftenden Aktivität im Wirtschaftskreislauf avanciert ist, tritt er als Instrument der individuellen Entfaltung und Selbstbestimmung auf. Das zeigt sich insbesondere bei prekären Arbeitsverhältnissen: Dort, wo aufgrund neuer Formen flexibler Arbeit, wie sie mit dem Neoliberalismus assoziiert werden, radikale Desorientierung, Unsicherheit und Verlust von (Selbst-)Bedeutung herrschen, eröffnet der Konsum Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung. Prekärer Konsum ist jedoch nicht nur eine Reaktion auf berufliche Unsicherheit oder die Uneinlösbarkeit des Selbstverwirklichungsversprechens eines Prekariats der Armut; prekärer Konsum kann auch in Sphären des Luxus auftreten. In diesem Spannungsfeld verschieben ostentative Konsumnormen die Grenzen des Prekariats und führen zu einer Neudefinition sozialer Identitäten. Diese Neudefinition erstreckt sich zwischen dem ökonomischen Tauschwert, der durch den Kauf oder die potenzielle Käuflichkeit/Verkäuflichkeit eines Produkts entsteht, und dem Gebrauchswert, der aus der Verwendung oder potenziellen Verwendbarkeit dieses Produkts als sinnliches Objekt resultiert (vgl. Hutter 2010, 32f.; von Braun 2019). Beide Blickrichtungen können miteinander verbunden werden, sich aber auch überlagern und/oder verdrängen.

Unsere Tagung blickt vor diesem Hintergrund auf die Literaturgeschichte, indem wir Fragen zu Gender und prekären Konsum, Luxus und Prekariat sowie Historischer Ökonomie, insbesondere mit Blick auf ihre Diskurse in der Literatur, aufwerfen. Wir möchten zur Diskussion stellen, wie der Konsum für Frauen zur Plattform der Emanzipation und Selbstthematisierung werden kann – ein Prozess, der parallel zur politischen Mitsprache voranschreitet. Prekärer Konsum kann hier aus der prekären Erwerbstätigkeit resultieren oder aus der ‚Unsicherheit‘ als zentraler Sorge des Subjekts (vgl. Butler 2012). Dies kann u.a. Bekleidung oder Schmuck (dazu Bohn 2006; Borchert 2004 und 2015) verdeutlichen, die nach Georg Simmel „psychologische“ Instrumente sind, um einen Kompromiss zwischen Nachahmen und Sich-Abgrenzen, zwischen sozialer Egalisierung und individueller Differenzierung zu finden (vgl. Simmel 1908, 181). Ein Deutungsansatz, der Style als sozial- und klassenhistorisch gesättigtes Distinktionssystem wieder in die Konsumproduktion zurückspeist, vermag die Emanzipation der Frau als Eigenproduktion im ökonomischen Sinn zu werten (vgl. Hebdige 1983). Literatur und Kunst nehmen Konsum als kulturelle Aktivität in den Blick und ergänzen die ökonomische Perspektive durch die Idee des symbolischen Kapitals (vgl. Bourdieu 1982; ‚Bereicherung‘ bei Boltanski/Esquerre 2018, 95).

Mit der theoretischen Unterbestimmung von Normal-Konsum geht einher, dass der/die Konsument:in gerade im langen 19. Jahrhundert lediglich über seine/ihre Extreme, d.h. über die Konsumgewohnheiten von Armen und Reichen, wahrgenommen wird. Die damit verbundene Konstellierung von Luxus und Armut wird im deutschsprachigen literarischen Kontext z.B. anhand der bürgerlichen Romane Jean Pauls, die sowohl extreme Armut als auch einen beinahe märchenhaften Reichtum beschreiben, deutlich, aber auch bei Louise Otto oder Bettina von Arnim. Literatur begünstigt den Zwiespalt zwischen Aversion und Affinität zum Luxus (Weder/Bergengruen 2011) einerseits, andererseits intensiviert sie die Auseinandersetzungen um die soziale Frage im 19. Jahrhundert und Kritik der klassischen Nationalökonomie im Hinblick auf Armut und Verelendung (vgl. Béraud/Faccarello 1993; für die Literatur: Brüns 2008; Jütte 2016; Schäfer 2018). Die Professionalisierung des ›Berufes‹ Schriftsteller treibt die Autor:innen in finanzielle Abhängigkeit von Verlagen, Redaktionen, sodass sie auf dem freien Markt ihre Ware ›verkaufen‹ müssen; gerade um 1900 ist die Lage – insbesondere weiblicher – Schriftstellerinnen ökonomisch und gesellschaftlich prekär.

Die Anziehung der konsumierbaren Dinge wird gerade in der Warenhausliteratur des 20. Jahrhunderts erzählt. Die „Schaufenster-Qualität“ (Simmel 1896) verleiht den Gütern ästhetische Bedeutsamkeit und schafft einen neuen Schauplatz für den verarmenden Adel, der sich zur Existenzsicherung in subalternen Stellungen in Warenhäusern verdingen muss (vgl. Oscar T. Schweriner: Arbeit. Ein Warenhaus-Roman [1912]; Ernst Georgy: Der Konfektionsbaron. Ein Zeitbild aus der Konfektion [1923]; Vicki Baum: Jape im Warenhaus [1928]). Dabei avancieren z.B. Dekorateure als Konfliktfiguren zwischen Kunst und deren ökonomischer Indienstnahme durch Reklame zu Protagonist:innen (vgl. Sigfrid Siwertz: Das große Warenhaus [1928] oder Vicki Baum: Der große Ausverkauf [1937]). Gleichzeitig wird der Austauschprozess zwischen Erotik und Konsumtion (vgl. Felber 2016) vorgeführt, der an die Problematisierung der bürgerlichen Ehe des 19. Jahrhunderts, z.B. in Fontanes L’Adultera [1880] erinnert.

Vortragende Gäste

  • Prof. Dr. Christine Weder (Département de langue et de littérature allemandes, Geneve)
  • Prof. Dr. Andreas Langenohl (Institut für Soziologie, Gießen)
  • Prof. Dr. Anne Enderwitz (Institut für Anglistik und Amerikanistik, Berlin)
  • Dr. Dirk Schuck (Historisches Seminar, Erfurt)
  • Dr. Gabriele Michalitsch (Institut für Politikwissenschaft, Wien)
  • Dr. Till Breyer (Germanistisches Institut, Bochum)
  • Prof. Dr. Kirsten von Hagen (Französische und spanische Literatur- und Kulturwissenschaft, Siegen)
  • Prof. Dr. Bernhard Kleeberg (Historisches Seminar, Erfurt)
  • Dr. Lisa Wille (Institut für Sprach- und Literaturwissenschaft, Darmstadt)
  • Conrad Fischer (JMU Würzburg)
  • Martha Burkart (JMU Würzburg)
  • Prof. Dr. Maximilian Bergengruen (JMU Würzburg)
  • Dr. Elisabeth Weiß-Sinn (JMU Würzburg)

Teilnahme 

Eine Anmeldung per E-Mail an Dr. Elisabeth Weiß-Sinn ist erforderlich.

Weitere Informationen finden Sie auf der Website des Lehrstuhls für neuere Deutsche Literatur- und Ideengeschichte.

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